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Self-Sovereign Identity: Wie es funktioniert und wie es unser Leben beeinflusst

Geschrieben von Roman Zoun | 10.08.2023 11:25:46

Self-Sovereign Identity ist die nächste Stufe der digitalen Identität. Sowohl Unternehmen als auch Nutzern bringt SSI enorme Vorteile. Wir sagen, warum, wie SSI funktioniert und wie es unser Leben beeinflussen wird.

Gemäss Untersuchungen von McKinsey Global Institute research könnte die vollständige digitale Abdeckung mit e-ID und SSI in Ländern wie den USA und GB im Jahr 2030 einen wirtschaftlichen Wert von 3 bis 13% des BIP generieren.

Trotzdem hat beispielsweise die Schweizer Bevölkerung das E-ID-Gesetz im März 2021 abgelehnt. Von den 2’762’770 Personen, die abgestimmt haben (Beteiligung von 51,29%), sagten 64,4% «nein» und nur 35,6% «ja».

Die Schweizer Regierung nahm die Gründe für die Ablehnung als Basis, um nachzubessern. Insbesondere die Privatsphäre der Nutzer und die Verantwortung des Bundes sollen gestärkt werden. Damit gehört die Schweiz zu den wichtigsten Akteuren der SSI-Bewegung.

In diesem Blog ergründen wir das Konzept von SSI, seine Vorteile und die aktuelle Gesetzgebung in der Schweiz. Wir beleuchten die Entstehung sowie die Grundsätze von SSI und wie es sich über Branchen hinweg auswirken kann.

Am Ende haben Sie nicht nur ein umfassendes Verständnis von SSI und dessen Potenzial in der Schweiz, sondern auch davon, wie es den Umgang mit unserer digitalen Identität revolutionieren kann.

Was ist Self-Sovereign Identity?

Self-Sovereign Identity (SSI) ist ein zukunftsweisendes Konzept, das in der digitalen Welt immer beliebter wird. Es ermöglicht es einer Person, ihre privaten Daten in ihrer mobilen Wallet zu speichern, und gibt ihr so die Kontrolle über die Daten zurück.

Was ist Digital Identity und was bedeutet «Self-Sovereign Identity»?

Das Konzept von Digital Identity

Die digitale Identität umfasst die Informationen und die Daten, die eine Person in der virtuellen Welt identifizieren. Sie besteht aus einer Reihe digital erfasster Attribute wie Name, Geburtsdatum und Geschlecht kombiniert mit den Credentials, die mit einer eindeutigen Kennung («unique identifier») verknüpft sind.  

Anders ausgedrückt: das elektronische Abbild einer Person, mit der sie beispielsweise im Internet Dienste nutzt, Käufe tätigt oder sich mit Mitmenschen auf Plattformen austauscht. Eine digitale Identität kann sowohl persönliche Daten als auch das Online-Verhalten umfassen.

Was bedeutet «Self-Sovereign Identity»?

«Self-Sovereign Identity» oder «SSI» bezieht sich auf einen dezentralen Ansatz, bei dem eine Person nicht auf eine Drittpartei angewiesen ist. Sie kann die Informationen zu ihrer Identität mit kryptographischen Methoden sicher auf ihrem persönlichen Gerät speichern. Des Weiteren kann sie persönliche Daten gegenüber vertrauenswürdigen Stellen oder Dienstleistungsanbietern gezielt offenlegen.

SSI berücksichtigt somit die Datenschutz- und Sicherheitsbedenken, die mit den üblichen Identitätssystemen verbunden sind. Diese speichern personenbezogene Daten häufig in zentralen Datenbanken, die anfällig für Verstösse und Missbrauch sind.

Warum sind digitale Identitäten wichtig?

Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb digitale Identitäten für die Digitalisierung unerlässlich sind:

  • Authentisierung und Autorisierung

    Digitale Identitäten ermöglichen es, Personen, Unternehmen oder Geräte in der virtuellen Welt zu authentisieren und zu berechtigen. Damit ist gewährleistet, dass die richtigen Personen oder Stellen auf die richtigen Ressourcen, Dienste oder Informationen zugreifen können.

  • Personalisierung und individuelle Anpassung

    Wünscht es eine Person, kann der Anbieter das Nutzererlebnis in der digitalen Welt dank Digital Identity personalisieren. Die Verknüpfung der digitalen Identität mit der Person erlaubt es Unternehmen, Dienstleistungen, Inhalte und Empfehlungen gemäss individuellen Präferenzen, Verhaltensweisen und historischen Daten masszuschneidern.

  • Vertrauen und Sicherheit

    Digitale Identitäten spielen eine zentrale Rolle dabei, Vertrauen aufzubauen und die Sicherheit bei elektronischen Interaktionen zu gewährleisten. Indem digitale Identifikationssysteme die Identität der Teilnehmenden prüfen, helfen sie dabei, Betrug, Identitätsdiebstahl und andere böswillige Aktivitäten zu verhindern. Damit gewährleisten sie die Sicherheit bei Kommunikation, Datenaustausch und Transaktionen.

  • Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften

    Digital Identity ist entscheidend für die Einhaltung rechtlicher und regulatorischer Anforderungen. Zahlreiche Länder/Gerichtsbarkeiten haben Datenschutzbestimmungen erlassen, gemäss denen Personen bei digitalen Transaktionen identifiziert und überprüft werden müssen. Digitale Identifikationssysteme unterstützen Unternehmen dabei, die Verantwortlichkeiten für den Umgang mit und den Schutz von Daten festzulegen.

  • Digitale Transformation und Innovation

    Digitale Identitäten sind ein zentrales Element von Initiativen zur digitalen Transformation. Sie ermöglichen Unternehmen den Übergang von papierbasierten Prozessen zu digitalen Abläufen. Damit ebnen sie den Weg für neue Geschäftsmodelle wie Sharing-Economy-Plattformen und fördern Innovation und Wirtschaftswachstum.

 

«SSI ist unsichtbar für Nutzer, erlaubt es Firmen aber, nur das Minimum an persönlichen Daten von Nutzern zu speichern und deren Privatsphäre zu wahren. Zugleich macht es die Integration von zivilen und Mitarbeiter-IDs schneller und günstiger.»

Hans Burger
Principal Security Consultant

 

 

 

Verantwortung – jede und jeder Einzelne muss sich bewusst sein, wem sie oder er vertraut

Mit einer digitalen Identität authentisiert sich eine Person bequem. Einem Dienstleistungsanbieter verschafft sie umfassende Informationen, auch über die Gedanken, die Bedürfnisse und die Aktivitäten eines Menschen. 

Deshalb ist es entscheidend, dass jede Person versteht, wie sensitiv die Daten einer digitalen Identität sind, wann welche Aktion durchgeführt wird, welche Spuren dies in einem System hinterlässt und was im Fall eines Datenverlusts- oder -diebstahls geschieht. 

Was sich ebenfalls jeder bewusst sein sollte: Es ist schwierig, unsere Anforderungen – die Daten selbst zu kontrollieren – mit unseren Erwartungen – die Identität durch eine Drittpartei zu validieren – zu vereinbaren. 

In der Schweiz verlagert sich die Diskussion über digitale Identitäten derzeit von den technologischen zu den politischen Aspekten, da das revidierte Datenschutzgesetz seit 1. September in Kraft ist. Mit etwas Glück erreicht die politische Diskussion einen breiteren Personenkreis, sodass Bürgerinnen und Bürger sich die notwendige digitale Kompetenz aneignen. Der Bund hat jedoch noch viel Arbeit vor sich, um auch die junge Bevölkerung – die sogenannten Digital Natives – von den Vorteilen einer E-ID zu überzeugen.

Die Entstehung von Self-Sovereign Identity

Seit im August 1991 das World Wide Web (WWW) lanciert wurde, hat sich die Art, wie wir unsere Identität nachweisen, fundamental verändert. Wagen wir eine kleine Zeitreise und beginnen bei der physischen Identität:

Traditionell haben sich physische Identitätsnachweise wie ein Reisepass entwickelt. Dabei steht das Vertrauen in den Herausgeber im Vordergrund. Dieses wird durch Sicherheitsmerkmale gewährleistet:

  • Je höher der Wert eines Nachweises, desto grösser der Aufwand, der in die Sicherheitsmerkmale gesteckt wird.
  • In den letzten Jahren wurden neben Passwörtern und Codes auch biometrische Informationen in die physischen Dokumente integriert.
  • Die physischen Identitätsnachweise funktionieren, weil die prüfende Partei (z.B. der Zoll oder ein Händler) der herausgebenden Partei (z.B. Gemeinde für ID oder Bank für Bankkarte) vertraut.

Mit der Lancierung des WWW entstand allmählich das Bedürfnis nach elektronischen Identitäten. Die frühen Tage waren geprägt vom Internet der «Silosysteme»:

  • Das Internet kennt nur die Identitäten der Server. 
  • Die Identitäten der Nutzer wurden im Konzept oder Protokoll nie integriert.
  • Deshalb haben sich pro Anwendung oder Service eigene Identitäten und damit auch Logins entwickelt. Jeder Service vergibt eigene Passwörter und prüft die Identität anders bzw. neu.
  • Daraus entstanden Silos. E-Mail-Adressen oder eigene Benutzernamen identifizieren die Nutzer. Die Legitimation erfolgt oft über ein Passwort.

Nun traten die «Intermediäre» auf den Plan, deren Ansatz einen Ausweg aus dem Passwort-Chaos versprach:

  • Intermediäre sind auch bekannt als Anbieter sozialer Identitäten (social identity providers, IdP). 
  • Oft handelt es sich dabei um mächtige Internet-Firmen, die diesen Service anbieten. Die Probleme dabei: 
    • Die Identitätsdaten liegen bei den IdPs und werden oft auch für andere Zwecke genutzt. 
    • IdPs können den Zugang verweigern oder Benutzer ausschliessen. 
    • IdPs bekommen alle Aktionen der Nutzer mit und können diese Informationen verwenden.
    • Die Nutzer müssen den IdPs trauen, auch wenn diese keine offizielle Legitimation haben.

Nun gibt «Self-Sovereign Identity» den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zurück:

  • SSI funktioniert ähnlich wie die physische Identität:
    • Der Nutzer hält die Identitätsdaten bei sich (analog zur ID im Portemonnaie).
    • Die Daten werden durch die herausgebende Partei kryptographisch bestätigt (analog einer Beglaubigung).
    • Die prüfende Partei vertraut der herausgebenden Partei.
  • Durch den dezentralen Ansatz gewährleistet SSI die Unabhängigkeit von einer zentralen herausgebenden und verwaltenden Einheit.

Die Grundsätze von Self-Sovereign Identity in der digitalen Welt

Wie funktioniert die digitale Welt?

In der digitalen Welt – wir sprechen in diesem Zusammenhang gern von einem Ökosystem – lässt sich das Potenzial von SSI voll ausschöpfen, da die beteiligten Parteien in einer sicheren Umgebung miteinander verbunden sind. In dieser digitalen Welt sind drei Rollen definiert: Holder (Nutzer), Issuer (Aussteller) und Verifier (Prüfer).

Beim Issuer handelt es sich um eine Organisation, die Verifiable Credentials* (VC) ausstellt, z.B. eine Behörde eine Identität, eine Versicherung eine Krankenversicherungskarte oder eine Universität ein Diplom. Der Holder steht im Zentrum des SSI-Systems. Er speichert die Verifiable Credentials, z.B. Identität, Zertifikate oder private Adresse, in seiner digitalen Wallet, dem Herzstück von SSI. Der Dienstleistungsanbieter ist der Verifier. Er authentifiziert den Holder, bevor er ihm Zugang zum Angebot gewährt.

Die folgende Abbildung zeigt, wie Issuer, Holder und Verifier miteinander in Beziehung stehen:

Wir sprechen im Zusammenhang mit der digitalen Welt gern von einem Ökosystem, d.h. einem verteilten, adaptiven, offenen System mit Eigenschaften wie Selbstorganisation, Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit, das von natürlichen Ökosystemen inspiriert ist.

*«Verifiable Credentials» gemäss W3C:

«Ein Verifiable Credential kann dieselben Informationen darstellen wie ein physischer Nachweis. Dank Technologien wie der digitalen Signatur sind Verifiable Credentials besser gegen Manipulation geschützt und vertrauenswürdiger als vergleichbare physische Nachweise.» 

Was sind die 10 Grundsätze von SSI?

Die führenden Stimmen und Organisationen sind sich nicht komplett einig, was SSI genau einschliesst. Die folgenden 10 Grundsätze fassen jedoch die wichtigsten Aspekte von SSI zusammen:

  1. Existenz 
    Eine Person muss in der digitalen Welt existieren und bestimmten Drittparteien vertrauen können, z.B. Issuers, die die Kompetenz erworben haben, Vertrauen zwischen Verifiern herzustellen. 
  2. Kontrolle
    Eine Person muss die effektive Hoheit über ihre digitale Identität und persönlichen Daten haben.
  3. Zugang
    Eine Person muss einfachen und direkten Zugang zu ihren Daten haben.
  4. Transparenz
    Die Art und Weise, wie ein Identitätssystem und Algorithmen verwaltet und aktualisiert werden, muss öffentlich zugänglich und verständlich sein. Das Lösungsdesign sollte auf offenen Protokoll-Standards und Open Software basieren.
  5. Beständigkeit
    Identitäten müssen eine lange Lebensdauer haben. Die Entwickler von Lösungen sollten eine ausreichende Basisinfrastruktur implementieren und nachhaltige Geschäfts- und Betriebsmodelle entwerfen.
  6. Übertragbarkeit
    Eine Person muss ihre Identitäten und Credentials überallhin mitbringen und von einer zur anderen Plattform übertragen können.
  7. Interoperabilität
    Die Identitäten sollten von den verschiedenen Interessengruppen so umfassend wie möglich genutzt werden können. Unternehmen, Datenbanken und Register müssen in der Lage sein, weltweit rasch und effizient über ein digitales Identitätssystem miteinander zu kommunizieren.
  8. Einwilligung
    Eine Person muss explizit einwilligen, dass eine Einheit auf die Daten zugreifen oder sie nutzen darf. Der Vorgang der Einwilligung sollte interaktiv gestaltet und für alle Personen gut verständlich sein.
  9. Datensparsamkeit
    Eine digitale Identitätslösung sollte es dem Einzelnen ermöglichen, einer anderen Partei so wenig Daten wie möglich preiszugeben, um die Weitergabe übermässiger und unnötiger personenbezogener Informationen zu vermeiden.
  10. Schutz
    Das Recht des Einzelnen auf Privatsphäre muss geschützt werden. Zudem sollten Schutzmassnahmen gegen Manipulation und Überwachung von Informationen bestehen. Der Datenverkehr sollte durchgehend verschlüsselt sein.

Neu vs. alt: Was ändert sich für den Nutzer mit SSI?

Alte und aktuelle persönliche Identitätsnachweise (IDs)

Die meisten Menschen nutzen heute föderierte Identitäten, die mit Attributen verbunden und in verschiedenen Identity-Management-Systemen gespeichert sind. Dank Single Sign-on (SSO), d.h. der Authentisierung innerhalb eines föderierten Identity-Management-Systems, loggt sich der Nutzer einmal ein und erhält Zugang zu diversen IT-Systemen und Organisationen. Ein Beispiel dafür ist das Google-Login.

Pässe haben sich von einem rein physischen zu einem hybriden Identitätsnachweis entwickelt, da in den letzten Jahren neben Passwörtern und Codes auch biometrische Informationen integriert wurden.

Föderierte Identitäten und Pässe haben eines gemeinsam: Der IdP speichert die Daten der Person zentral auf seinem System, mit dem alle anderen interagieren müssen. 

Genau hier kommt SSI mit seinem dezentralen Ansatz und seiner mobilen Wallet ins Spiel.


Neu: Kontrolle über eigene Daten dank SSI und mobilen Wallets

Mobile Wallets, in denen Nutzer ihre Credentials auf dem eigenen Smartphone speichern, sind das entscheidende Differenzierungsmerkmal von SSI. Damit löst SSI ein elementares Datenschutzproblem zentraler und föderierter Identity-Modelle und eröffnet zugleich neue Möglichkeiten, Identitäten und offizielle Dokumente zu verwenden. 

Möglich machen es Verifiable Credentials und sogenannte Decentralized Identifiers (DIDs). Verifizierte Credentials bilden digital persönliche Informationen oder Eigenschaften ab. Sie werden von einer vertrauenswürdigen Stelle ausgegeben und lassen sich unabhängig überprüfen. Bei Decentralized Identifiers handelt es sich um eine Form von einmaligen digitalen Kennungen, die unabhängig von einer zentralen Stelle sind.

Die Vorteile von SSI für jede Rolle in der digitalen Welt

Der Holder bzw. Nutzer hat die volle Kontrolle über seine persönlichen Daten, die in der Wallet auf seinem Smartphone gespeichert sind. Wenn er die Wallet nutzt, gibt er weder seine Credentials noch seine Authentisierungsaktivitäten preis. Zudem bietet SSI dem Nutzer die Möglichkeit, Informationen gezielt bekanntzugeben, d.h. nur jene Daten, die für einen Vorgang wirklich nötig sind. Ein weiterer Vorteil für den Holder sind die Zero-Knowledge Proofs (ZKP). Denn damit kann er eine Frage mit ja oder nein beantworten, ohne Daten offenzulegen. Das bekannteste Beispiel: Der Holder beweist, dass er über 18 Jahre alt ist, ohne sein Geburtsdatum zu nennen.

Der Issuer kann mit SSI einfach Credentials erstellen und Betrug verhindern, da das ausgestellte Verifiable Credential dank fortschrittlicher Kryptographie fälschungssicher ist. 

Wie der Holder profitiert auch der Verifier vom Datenschutz. Dank ZKP kann er Informationen prüfen, ohne die Daten zu erhalten. Das erleichtert die Einhaltung von Datenschutzgesetzen wie DSGVO und DSG. Das ausgestellte Credential lässt sich überdies sowohl in der virtuellen als auch in der echten Welt sicher und einfach prüfen. 

SSI: Datenfluss vom Issuer zum Verifier

Die folgende Abbildung veranschaulicht die Abläufe zwischen Issuer, Verifier und Holder:

Die Unterschiede für die Nutzer mit SSI im Überblick

 

E-ID auf Basis einer föderierten Identität

E-ID auf Basis von SSI

Datenschutz

Daten sind beim Issuer gespeichert

Daten sind in der mobilen Wallet des Nutzers gespeichert

Unabhängigkeit

Der Nutzer ist für die Prüfung auf eine zentrale Stelle angewiesen

Der Nutzer gibt die Informationen direkt dem Service Provider bekannt, der als Verifier fungiert

Flexibilität

Der Nutzer muss jene Informationen bekanntgeben, die der Verifier verlangt

Der Nutzer hat die volle Kontrolle über die Daten. Er kann Informationen selektiv preisgeben oder Fragen mit ja/nein beantworten

SSI und mobile Wallets in der echten Welt

SSI ist nicht nur in der digitalen, sondern auch in der echten Welt anwendbar – und zwar viel einfacher.

SSI hat das Potenzial, physische Formen der Identifikation wie Studentenausweise oder Reisepässe zu ersetzen. Dabei ginge es allerdings um viel mehr, als einfach bestehende physische Lösungen durch das digitale Gegenstück abzulösen. Der entscheidende Vorteil: Auch in der echten Welt ist es mit SSI möglich, selektiv Informationen preiszugeben und ZKP zu verwenden.

Die Knacknuss ist der Prüfprozess. Im digitalen Universum startet der Verifier den Prozess und damit ein Hin und Her zwischen ihm und dem Holder. Bei Interaktionen in der echten Welt ist ein direkterer Ansatz gefragt, d.h. ein vom Holder initiierter Vorgang:

  • Der Nutzer bzw. Holder startet den Prozess, indem er die mobile Wallet öffnet und einen QR Code vorzeigt
  • Der Verifier scannt den Code und erstellt einen sicheren privaten Kanal zwischen den beiden Parteien
  • Über diesen Kanal empfängt und prüft der Verifier die im Verifiable Credential enthaltene Information

Wichtig wäre, für die Anwendung von SSI in der realen Welt sogenannte «edge mobile wallets» zu nutzen. Bei «hosted wallets», bei denen die Daten zentralisiert werden, gehen zahlreiche der beschriebenen Vorteile verloren. Ein weiterer Vorteil von Edge Wallets: Sie erlauben künftig komplette Peer-to-Peer- (oder Offline-)Verbindungen, z.B. via Bluetooth. Damit wird es letztlich möglich, SSI in der realen Welt in viel mehr Situationen zu nutzen.

SSI: typische Use Cases

Es gibt keine bessere Möglichkeit, eine neue Technologie zu verstehen und deren potenziellen Mehrwert zu beurteilen, als repräsentative Use Cases. 

Beispiele von SSI-Anwendungsfällen in verschiedenen Branchen

  • Bildung  
    Alice speichert ihre Zeugnisse und Diplome in ihrer digitalen Wallet und zeigt sie bei Bedarf Bildungseinrichtungen, z.B. wenn sie sich für eine Uni bewirbt oder zu einer Prüfung anmeldet. Die Universität nutzt SSI, um die akademischen Qualifikationen, Zeugnisse und Diplome von Alice sowie anderen Studierenden zu verwalten und zu überprüfen.
  • Finanzwesen
    Wenn Bill online Bankgeschäfte tätigen will, nutzt er seine Verifiable Credentials für die Kontoanmeldung. Seine VCs ermöglichten es ihm auch, das Konto schnell und unkompliziert zu eröffnen und sich somit die aufwendigere Video-Identifikation zu ersparen.
  • Gesundheitswesen
    Cindy muss für eine Routinebehandlung zum Zahnarzt. Deshalb möchte sie nicht ihre gesamte Krankengeschichte offenlegen, sondern nur die Informationen, die der Zahnarzt benötigt. Auch hier gewährleistet SSI den Datenschutz dank selektiver Offenlegung.
  • Tourismus
    Daniel geniesst seine Ferien in vollen Zügen. Denn dank SSI und seiner prüfbaren, unveränderlichen digitalen Identität kommt er schneller denn je durch die Sicherheitsprüfungen und die Einreise am Zoll. Zusätzlicher Vorteil: Als eher zerstreuter Zeitgenosse muss er sich keine Sorgen darüber machen, dass er seine physischen Papiere verlieren könnte.
  • Recht
    Esther und ihr Mann haben soeben ein neues Haus gekauft. Es fehlt nur noch die Vertragsunterschrift. Mit SSI können sie das Dokument mittels kryptographischer Nachweise ihrer Identität digital unterzeichnen.

Das Potenzial von SSI ist ganz offensichtlich riesig. Gemäss Erkenntnissen des McKinsey Global Institute könnte SSI der Türöffner zu Dienstleistungen von Banken, Behörden, Bildungsinstituten und vielen mehr sein. Recherchen zufolge könnte es das Wirtschaftswachstum in Grossbritannien im Jahr 2030 um 3% in die Höhe treiben. Für andere Länder dürften die Zahlen ähnlich sein.

Self-Sovereign Identity in der Schweiz

Das neue E-ID-Gesetz wird den Weg für die Einführung einer landesweiten elektronischen Identität ebnen. Herausgegeben wird sie vom Bund, der auch die notwendige Infrastruktur betreibt. Der Weg dahin war steinig:

Ablehnung des E-ID-Gesetzes 2021 und weitere Entwicklung

  • März 2021
    Das Schweizer Volk lehnt das E-ID-Gesetz ab. Der Bund arbeitet daraufhin mit Hochdruck an einem neuen Vorschlag.
  • September 2021 
    Der Bund veröffentlicht erste Ergebnisse in einem Diskussionspapier. Self-Sovereign Identity ist einer der drei Ansätze, die für die Umsetzung der künftigen E-ID vorgeschlagen werden.
  • Dezember 2021 
    Der Bund definiert die Designgrundsätze der künftigen staatlichen E-ID, mit der die Nutzer die grösstmögliche Kontrolle über ihre Daten haben sollen. 
  • Juni 2022 
    Der Entwurf des neuen E-ID-Gesetzes geht in die Vernehmlassung.
  • März 2023 
    Die Public Sandbox Trust Infrastructure wird aufgeschaltet. 
  • Juni 2023 
    Der Bund legt den Schwerpunkt neu auf die Kompatibilität mit der EU-Lösung anstatt auf SSI.
  • September 2023 
    Das revidierte Datenschutzgesetz, das die Daten von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern besser schützen will, tritt in Kraft. Es könnte ein Türöffner für die Einführung der staatlichen E-ID sein.

Die Zukunft von Self-Sovereign Identity 

SSI hat das Potenzial, die digitale Identität neu zu gestalten. Ob sich das Konzept auf breiter Front durchsetzt und sein volles Potenzial entfalten kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab wie dem technologischen Fortschritt, der Akzeptanz durch die Gesellschaft, der Nachfrage und der rechtlichen Entwicklung.

Treiber von SSI

Die folgenden Faktoren treiben die Entwicklung und die Einführung von SSI voran:
  • Schutz von Privatsphäre und personenbezogenen Daten
    Die Menschen sorgen sich zunehmend um ihre Privatsphäre und den Schutz ihrer persönlichen Daten. Mit SSI behalten sie die Kontrolle über ihre Identitätsdaten. Damit sinkt das Risiko von Datenschutzverletzungen und unberechtigtem Zugriff, weil die Abhängigkeit von zentralen Datenbanken minimal ist.
  • Sicherheit und Vertrauen
    Zentrale Identitätssysteme sind anfällig für Hacker-Angriffe und Identitätsdiebstahl. SSI nutzt kryptographische Methoden und dezentrale Netzwerke wie Blockchain, um die Sicherheit zu verbessern und Vertrauen zu schaffen. SSI gewährleistet, dass Identitätsdaten fälschungssicher und prüfbar sind.
  • Nutzerzentrierter Ansatz
    Bei SSI steht der Mensch im Zentrum der Identitätsverwaltung. Eine Person kann entscheiden, welche Elemente ihrer Identität sie wem preisgeben will. Sie kann ebenso eine portable Identität erstellen und diese kontext- und plattformübergreifend nutzen, was ihren Komfort und ihre Autonomie fördert.

  • Kompatibilität und Portabilität
    Traditionelle Identitätssysteme sind oft wenig kompatibel, was die Nutzung von Identitäten über Unternehmen und Dienste hinweg schwierig macht. Dies ist mit SSI nicht der Fall, da es offene Standards und Protokolle fördert, was die Redundanz verringert und den Prüfprozess vereinfacht.

  • Digitale Inklusion
    Self-Sovereign Identity ermöglicht Personen, die sich nicht auf herkömmliche Art ausweisen können, etwa Flüchtlinge oder Randgruppen, den Zugang zu wichtigen Diensten und die Teilnahme an der digitalen Wirtschaft. Denn SSI gibt ihnen ein Mittel an die Hand, um ihre Identität auf vertrauenswürdige Weise zu bestätigen.
  • Einhaltung gesetzlicher Vorgaben
    Eine Reihe gesetzlicher Vorgaben wie die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) betonen die Wichtigkeit der Datenrechte und der Einwilligung betroffener Personen. SSI ist auf diese Vorgaben abgestimmt, indem es Personen die bessere Kontrolle über ihre Daten ermöglicht. Dies vereinfacht die Einhaltung der Vorgaben zu Datenschutz und Einwilligung des Einzelnen.
  • Geschäftliche und wirtschaftliche Vorteile
    SSI hilft Unternehmen, Kosten zu sparen. Denn es verringert die Notwendigkeit von Identitätsprüfprozessen und der Datenspeicherung und vereinfacht die Einhaltung komplexer Identitätsvorschriften. Es ermöglicht zudem neue Geschäftsmodelle wie identitätsbasierte Dienstleistungen und dezentrale Applikationen, was Innovation und Wirtschaftswachstum fördert.

E-ID und SSI sind der nächste Schritt der Digitalisierung in der Schweiz

Sie verstehen nun das Konzept von SSI und dessen Vorzüge: besserer Datenschutz und stärkere Kontrolle für Nutzer, höhere Effizienz und einfachere Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Unternehmen. Sie wissen ausserdem, wie es um SSI in der Schweiz steht. Das Wichtigste: Sie haben erkannt, wie sich SSI auf vielfältige Bereiche unseres Lebens auswirken kann.

Das neue Schweizer Datenschutzgesetz, das seit 1. September 2023 in Kraft ist, ebnet den Weg für die landesweite Einführung einer elektronischen Identität. Von da sind es nur noch wenige Schritte bis zu SSI.

FAQ

Was ist SSI?

Bei SSI handelt es sich um einen dezentralen Ansatz, mit dem Nutzer nicht von einem Drittanbieter abhängig sind. Sie speichern die Informationen zu ihrer Identität mittels kryptographischer Methoden sicher auf ihrem persönlichen Gerät.

Wie funktioniert SSI?

Der Holder steht im Zentrum des SSI-Systems. Er fordert ein Verifiable Credential, z.B. Identität oder Diplom, bei einem Issuer an, üblicherweise einer Institution. Dieses Credential speichert er in seiner digitalen Wallet, dem Herzstück von SSI, und weist es dem Verifier vor, wenn er sich für einen elektronischen Service authentisiert.

Was sind die Vorteile von SSI?

Nutzer haben die volle Kontrolle über ihre persönlichen Daten. Ihre Credentials und Authentisierungsaktivitäten bleiben privat, da die Daten in der Wallet des eigenen Smartphones gespeichert sind. Dank SSI können Nutzer Informationen selektiv offenlegen oder Fragen mit ja/nein beantworten.

Wo im echten Leben ist SSI anwendbar?

SSI ist im echten Leben in jedem Szenario anwendbar, wo es um die Prüfung der Identität und die Authentisierung geht: z.B. beim Zugang zu E-Gov-Diensten wie Abstimmungen oder der Beantragung eines neuen Reisepasses, bei der Kontrolle über die eigene Krankenakte, der Anmeldung für ein Examen an der Uni oder der digitalen Vertragsunterzeichnung.

Was hat SSI mit Blockchain zu tun?

SSI ermöglicht es, öffentliche Identifikatoren auf einer Blockchain zu speichern. Eine Blockchain ist zwar keine Voraussetzung für SSI, aber eine übliche Art der Implementation, da sie die SSI-Grundsätze wie Dezentralisierung, Unveränderbarkeit und Sicherheit unterstützt.

SSI-Glossar

Swiss Digital Identity and Data Sovereignity Association (DIDAS)

DIDAS will zur einer digitalen Schweiz mit mehr Datenschutz beitragen. Sie setzt sich für globale Standards ein und schafft ein SSI-Ökosystem mit Anspruchgruppen aus zahlreichen Branchen.

Digitale Identität

Die Informationen, die eine Person in der digitalen Welt identifizieren, d.h. das elektronische Abbild einer Person, mit der sie beispielsweise im Internet Services nutzt, Käufe tätigt oder sich mit Mitmenschen auf Plattformen austauscht.

Decentralized Identifier (DID)

Dezentrale Identifikatoren sind global eindeutige Identifikatoren. Sie bestehen aus einem String mit Buchstaben und Zahlen und dienen auf einer Blockchain und firmenunabhängig als Identifikationsadresse.

European Blockchain Services Infrastructure (EBSI)

Die EBSI ist eine von der EU entwickelte Blockchain-basierte Infrastruktur, um sichere Vertrauensdienste anzubieten und die Umsetzung von SSI-Grundsätzen zu unterstützen.

electronic Identification, Authentication, and Trust Services (eIDAS)

Die eIDAS-Verordnung bildet den rechtlichen Rahmen für die elektronische Identifikation und Vertrauensdienste in der EU. Sie fördert die grenzüberschreitende Anerkennung elektronischer Identitäten und unterstützt sichere digitale Transaktionen.

Holder

Der Holder steht im Zentrum der digitalen Welt. Er fordert ein Verifiable Credential bei einer Institution an und weist es dem Verifier vor, um auf einen elektronischen Service zuzugreifen.

Identity Provider (IdP)

Ein IdP verwaltet die primären Authentisierungs-Credentials des Teilnehmers und stellt basierend auf diesen Nachweisen Assertions aus.

Issuer

Der Issuer ist jene Partei in der digitalen Welt, die die Verifiable Credentials ausstellt – üblicherweise eine Institution wie eine Behörde, ein Versicherer oder eine Universität.

Least Privileged Access (LPA)

LPA ist ein Sicherheitskonzept, das auf der Idee gründet, die Zugangsrechte von Nutzern oder Berechtigungen auf das für die Erfüllung einer Aufgabe notwendige Minimum zu beschränken.

Level of Assurance (LoA)

LoA bezeichnet den Grad des Vertrauens in die angegebene Identität einer Person: Wie sicher kann ein Dienstleister sein, dass die Person, die eine bestimmte E-ID zur Authentisierung verwendet, die Person ist, die sie vorgibt zu sein.

Mobile Wallet

In einer mobilen Wallet speichern Nutzer sicher digitale Zahlungsmethoden wie Kredit- und Debitkarten oder Kryptowährungen, aber auch Dokumente wie den Führerschein, die so jederzeit verfügbar sind.

Relying Party

Eine Partei, die sich auf die Sicherheit und Authentizität eines Schlüssels oder Schlüsselpaars stützt, um einen kryptographischen Schutz anzuwenden und diesen aufzuheben oder zu überprüfen.

Self-Sovereign Identity (SSI)

SSI bezeichnet einen dezentralen Ansatz, bei dem Nutzer nicht auf einen Drittanbieter angewiesen sind und ihre Identitätsinformationen sicher auf ihrem persönlichen Gerät speichern können.

Selektive Offenlegung

Der Nutzer legt nur jene Daten offen, die er für angemessen hält bzw. die notwendig sind.

Verifiable Credential (VC)

Ein Verifiable Credential ist ein fälschungssicherer Berechtigungsnachweis, dessen Urheberschaft kryptographisch verifizierbar ist.

Verifier

Der Verifier authentifiziert den Holder anhand von dessen Verifiable Credentials, bevor er ihm Zugang zum Angebot gewährt.

Zero-Knowledge Proof (ZKP)

Der Holder kann eine Frage mit ja oder nein beantworten.